Tako-Tsubo-Syndrom

Die Form der geschädigten Herzkammer erinnert an den Tako-Tsubo, einen Tonkrug, mit dem man in Japan Tintenfische fängt.

WENN EIN SCHOCK AUFS HERZ GEHT

Plötzlich beginnende heftige Schmerzen in der Herzgegend, ein Engegefühl in der Brust, Atemnot, ein regelrechter Vernichtungsschmerz. Wer mit diesen Symptomen ins Krankenhaus kommt, denkt an einen Herzinfarkt. Doch manchmal liegen die Ursachen woanders. Die Betroffenen leiden an einer Krankheit, die eines der eindrücklichsten Beispiele ist, wie eng Körper und Psyche zusammenhängen. Die Herzstromkurve im EKG zeigt die typischen „Infarktzacken“, und auch ein spezieller Bluttest weist darauf hin: die Herzenzyme sind erhöht. Und doch liegt bei etwa drei Prozent dieser Patienten kein Infarkt vor. Erst eine Herzkatheteruntersuchung bringt Gewissheit: die Herzkranzgefäße sind völlig normal. Es handelt sich um das Tako-Tsubo-Syndrom oder auch Broken-Heart-Syndrom. Ohne Herzkatheter lässt es sich auch für einen erfahrenen Kardiologen nicht von einem richtigen Infarkt unterscheiden.

EIN BEISPIEL

Ingeburg Sandvoß aus Bruchhausen-Vilsen war Zeugin, als ihr Nachbar 2004 an einem Herzinfarkt starb. Direkt im Anschluss klagte die damals 60-Jährige über immer stärker werdende Übelkeit, Magenschmerzen und schließlich Schmerzen in der Brust. Sie kam ins Krankenhaus, und nach mehreren EKGs sowie einem Bluttest erhärtete sich der Verdacht eines Herzinfarktes. EKGs und Bluttests bestätigte sich der Verdacht auf einen Herzinfarkt. Die Ärzte des Klinikums Links der Weser untersuchten sie mit einem Herzkatheter, der überraschenderweise völlig normale Herzkranzarterien zeigte. Sie bekam Gerinnungshemmer, um eine Gerinnselbildung in der Aussackung der linken Herzkammer zu unterdrücken. Obwohl die Tako-Tsubo-Erkrankung damals noch weitgehend unbekannt war, äusserte der behandelnde Kardiologe im Herzkatheterlabor die Vermutung, dass es sich um eine besondere Form des Herzinfarkts handelte.

Ingeburg Sandvoß wurde nach einigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen und ging vier Wochen zur Reha. „Dort wunderten sich alle, wie fit ich war“, so die Rentnerin. Etwa ein halbes Jahr brauchte es, bis alle Symptome verschwunden waren. Insgesamt war Ingeburg Sandvoß dreimal mit Verdacht auf Tako-Tsubo im Krankenhaus. 2013 legten ihr die Ärzte erneut einen Herzkatheter. Inzwischen ist sie völlig gesund und kann schwimmen, Rad fahren und problemlos Treppen steigen.

STRESS ALS URSACHE

Japanische Ärzte diagnostizierten die Krankheit erstmals Anfang der 90er Jahre. Sie fanden heraus, dass bei Tako-Tsubo-Patienten die unteren Abschnitte der linken Herzkammer durch die Schädigung des Muskels ballonartig erweitert sind. Das Herz ist durch die Kontraktionsstörung kaum mehr in der Lage, genügend Blut in den Körper zu pumpen. Die Form der geschädigten Herzkammer erinnert an einen Tonkrug, mit dem man in Japan Tintenfische fängt, den Tako-Tsubo. Die Ursachen für die Krankheit, die auch unter Stress-Kardiomyopathie bekannt ist, sind bis heute unklar. Durch vorausgehende, stark belastende Ereignisse wird der Körper mit Stresshormonen wie Adrenalin, Noradrenalin und Metanephrinen überschwemmt. Die auslösenden Situationen können etwas Positives wie Negatives sein: ein Todesfall, ein Überfall oder auch ein Lottogewinn können zum „gebrochenen Herzen“ führen. Normalerweise treiben die vermehrt ausgeschütteten Stresshormone das Herz zu Höchstleistungen an und steigern kurzfristig die Konzentration sowie Leistungsfähigkeit. In großen Maßen können sie aber den Herzmuskel angreifen. Die linke Herzkammer scheint hierbei besonders viele Andockstellen für Stresshormone zu besitzen.

Forscher vermuten nun, dass das Tako-Tsubo-Syndrom ein Selbstschutz ist: Um größeren Schaden zu vermeiden, verengen sich die Herzkranzgefäße vor allem in der Nähe der Herzspitze, und das Blut zirkuliert nicht mehr richtig. Wahrscheinlich ist es ein massiver Einstrom vom Kalzium in die Zellen, der diese dann schädigt. Die Patienten bekommen kaum Luft, fühlen sich schwach und haben Schmerzen im Brustkorb. Sie müssen wie Infarktpatienten intensiv-medizinisch betreut werden.

HAUPTSÄCHLICH FRAUEN BETROFFEN

90 Prozent der Betroffenen sind Frauen, oft in oder nach den Wechseljahren – wahrscheinlich, da bei ihnen das herzschützende Östrogen abnimmt. 7,5 Prozent aller mit Infarktsymptomen eingelieferten Patientinnen aus dieser Gruppe sind in Wirklichkeit an Tako-Tsubo erkrankt. Die Gefahr eines Rückfalls oder das Ereignis eines echten Infarkts sind danach erhöht. Im Gegensatz zum klassischen Herzinfarkt bleiben jedoch keine Funktionsstörungen des Herzens zurück, die Beschwerden klingen nach einigen Stunden ab und das Herz hat sich nach einigen Tagen oder Wochen wieder voll erholt.